
Ich habe nach der Recherche zu diesem Artikel lange überlegt, wie ich an ihn herangehe. Die geschlechtergerechte Sprache, das sogenannte „Gendern“, ist in vielen Verwaltungen und Organisationen ein aktuelles und emotional anscheinend stark aufgeladenes Thema. In der Bevölkerung gehen die Meinungen über den Sinn oder Unsinn weit auseinander. Die Debatte wird zeitweise sehr hitzig geführt. Ich möchte Ihnen in diesem Artikel einige Gründe aufzeigen, warum die Nennung aller Geschlechter sinnvoll sein kann und welche Möglichkeiten es dazu gibt.
Die öffentliche Hand sieht Handlungsbedarf
Im Grundgesetz steht in Artikel 3, Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Trotz dieser Absichtserklärung gibt es in unserer Gesellschaft zwischen den Geschlechtern immer noch Ungleichheiten. Frauen wählen bestimmte Berufe nicht, für die sie eigentlich genauso geeignet wären wie Männer. Es gibt, bei gleicher Eignung, teilweise immer noch einen deutlichen Unterschied in der Bezahlung. Und in den Führungsetagen von Verwaltungen und Unternehmen finden sich weniger Frauen als Männer. Liegt das hauptsächlich an der Sprache?
Sicher nicht, aber unser täglicher Sprachgebrauch macht deutlich, wo unser geschichtlich gewachsener Fokus liegt bzw. bisher lag. Da regt sich seit den späten Siebzigern eine Diskussion, die inzwischen Auswirkungen zeigt: In den Verwaltungen von Städten, Bundesländern und Universitäten wird das sogenannte „generische Maskulinum“ immer öfter aus der Schriftsprache herausgenommen. Der Begriff bedeutet, dass für gemischt-geschlechtliche Gruppen trotzdem die männliche Form von Wörtern verwendet wird. Auch hier in Kiel hat die Ratsversammlung dem Oberbürgermeister im Dezember 2018 den Auftrag erteilt, „in der Landeshauptstadt Kiel bis Ende 2019 eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache einzuführen“.

Auch im Alltag: Mitgemeint bedeutet nicht unbedingt mitgedacht
Warum könnte es also sinnvoll sein, auch im Alltag eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden? Es gibt Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass es eine Wechselwirkung zwischen Sprache und der Wahrnehmung der Welt gibt. An etwas, das in der Sprache nicht auftaucht, wird auch weniger gedacht. Diese Situation haben wir durch das generische Maskulinum in der deutschen Sprache. Die weibliche Form sei aber immer mitgemeint. Einige Beispiele dafür sind „die Bürger“, „die Wähler“ oder „der Chirurg“. Derart mitgemeinte Mädchen und Frauen kommen in der Vorstellung anderer Menschen dadurch aber weniger vor. Menschen möchten angesprochen, gesehen und auch repräsentiert werden. Das passiert beim generischen Maskulinum jedoch faktisch nicht. Werden beide Geschlechter genannt, erweitert das die Gedankenwelt aller und damit anscheinend auch die Offenheit. Menschen trauen sich dann mehr zu und fühlen sich gesehen.
Es gibt eine Geschichte, die das Problem mit der missverständlichen Benennung von Personen durch das generische Maskulinum verdeutlichen soll: „Vater und Sohn sind im Auto unterwegs und werden in einen schweren Autounfall verwickelt. Der Vater stirbt noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Sohn wird, kaum im Krankenhaus angekommen, in den Notfall-Operationssaal gefahren, wo schon die diensthabenden Chirurgen warten. Als sie sich jedoch über den Jungen beugen, sagt einer der Chirurgen mit erschrockener Stimme: „Ich kann nicht operieren – das ist mein Sohn!“ Viele Menschen haben daraufhin den Eindruck, dass an der Geschichte etwas nicht stimmt: Wie kann der Vater denn plötzlich im OP-Saal sein, er ist doch tot? Die Lösung ist relativ einfach: Der „Chirurg“ am OP-Tisch ist die Mutter des Jungen. Weil für die Ärztin ein männlicher Begriff verwendet wurde, denken viele Menschen, dass es sich um einen Mann handelt.

Ein weiteres Beispiel ist die Situation, dass es in einer Gruppe von Menschen überwiegend Frauen gibt, aber trotzdem für eine Bezeichnung der Teilnehmenden die männliche Form benutzt wird: Bei einem Vortrag zu einem chirurgischen Thema befinden sich 20 Menschen im Raum, 18 Frauen und zwei Männer. Wird nun in einer Überschrift geschrieben, dass „20 Chirurgen an der Vortragsveranstaltung teilgenommen haben“, fallen die Frauen, die eindeutig in der Mehrheit waren, sprachlich einfach weg. Liest jemand die Überschrift, erzeugt das bereits dort ein falsches Bild von dem, was wirklich passierte.
Die beiden Situationen sind sicherlich nicht katastrophal, verdeutlichen jedoch, dass das generische Maskulinum die Wahrnehmung verzerren kann und die Bürger*innen dieses Landes dadurch sprachlich oft einfach nicht auftauchen, obwohl sie anwesend oder beteiligt waren. Das müsste nicht so sein.
Welche Möglichkeiten der geschlechtergerechten Sprache gibt es?
Es gibt viele verschiedene Ansätze. Hier gilt es etwas kreativ zu werden und die Variante zu wählen, die für den eigenen Text passt. Das ist sicherlich auch eine Geschmacksfrage.
Sind in einer Gruppe von Menschen beide Geschlechter vertreten, können beide genannt werden, zum Beispiel Leserinnen und Leser oder Studentinnen und Studenten. Oder die Frage des Geschlechts wird mit einem neutralen Begriff umgangen, beispielsweise mit Lesende, Studierende, Feuerwehrleute oder Fachkraft. Es gibt auch verschiedene Arten von Kurzformen wie den Genderstern oder die Genderlücke, Beispiele dafür sind Leser*innen, Student*innen oder Leser_innen und Student_innen. Weitere Kurzschreibungen basieren auf einem Schrägstrich, dem sogenannten Binnen-I oder einer Klammer, beispielsweise Leser/innen, Student/innen, LeserInnen, StudentInnen oder Leser(in) und Student(in). Vielleicht sind Sie sich nicht sicher, wie diese Kurzformen ausgesprochen werden? Es sollte beim Sprechen an der Stelle mit den besonderen Zeichen eine kurze Pause gemacht werden.
Eine weitere Dimension erhält das Thema noch durch Menschen, die sich nicht eindeutig männlich oder weiblich einordnen können oder möchten. Dieser Teil der Bevölkerung möchte sich in der Sprache und im Bewusstsein der Menschen auch repräsentiert wissen. Da werden aktuell hauptsächlich der Genderstern und ähnliche Varianten verwendet, neutrale Formen wie „Feuerwehrleute“ bilden auch weitere Geschlechter ab.
Veränderungen sind oft mit Aufwand verbunden – auch wenn es das Überdenken alter Gewohnheiten betrifft. Sprache sollte, soweit möglich, unmissverständlich und präzise sein. Damit könnte eine weitere Grundlage gelegt werden, Ungleichgewichte zwischen den Geschlechtern abzumildern, sodass alle sich auch sprachlich auf Augenhöhe begegnen. Neben dem Sprechen und Schreiben sind natürlich auch Taten nötig. Die Sprache ist nur eine Vorstufe der Veränderung.
Trauen Sie sich, Ihren eigenen Weg zu finden, ob Sie nun gendern möchten oder nicht. Sie haben die Wahl.
Wenn Sie sich zur geschlechtergerechten Sprache weiter informieren möchten, empfehle ich Ihnen
- https://www.genderleicht.de/ – Projekt des Journalistinnenbundes mit Tipps
- https://geschicktgendern.de/ – Onlinewörterbuch mit geschlechtergerechten Wortalternativen
- „Gendern – Ganz einfach!“ – Buch von Anja Steinhauer und Gabriele Diewald mit einer kurzen Einführung und vielen Tipps (Duden Verlag)
Autor: Thorsten Panknin
Layout/Illustrationen: Rebecca Freyer