Foto: eines Tages, Kulturforum Kiel
Hat das Theater einen wirkungsvollen Einfluss
auf die Integration in die deutsche Gesellschaft?
Um möglicherweise eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, möchte ich gerne meine Geschichte mit Ihnen teilen. Es war mein erster Tag beim K.I.E.L. Journal, als ich gefragt wurde, ob ich einen Artikel über Theater in Kiel schreiben würde, da ich vor meiner Ankunft in Deutschland Theater in Syrien studiert habe.
Nach einer langen und vergeblichen Suche im Internet konnte ich zwar kein einziges Wort schreiben, aber plötzlich erinnerte ich mich an den Tag, als ich mein erstes Theaterstück in Kiel gesehen habe. Es war das Stück „Eines Tages“ im Kulturforum, von und mit dem „Tilsit-Theater“ aus Sovetsk.
Ich ging damals zusammen mit einer großen Gruppe von Freund_innen dorthin, die aus verschiedenen Ländern wie Afghanistan, Syrien, Albanien oder dem Irak kamen. Meine gute Freundin Nicole hatte uns eingeladen, denn sie kümmerte sich um die neuen nach Deutschland kommenden Einwander_innen und Geflüchteten. Die Veranstaltung war Bestandteil einer Initiative, diesen Menschen zu helfen sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Wir alle hatten Angst, die Show nicht komplett zu begreifen, da wir zum damaligen Zeitpunkt alle nichts von der deutschen Sprache verstanden, mal abgesehen von dem Wort „Danke“. Trotzdem war ich sehr gespannt nach meiner langen Theater-Abwesenheit wegen des Krieges in Syrien mal wieder eine Vorstellung zu sehen. Als das Stück begann, merkte ich, dass es zum Glück ein Pantomime-Spiel war. Die Zuschauer_innen konnten daher die ausdrucksstarke Mimik und Gestik verfolgen und dank der vielen humorvollen Momente aufmerksam bleiben.
Nach einer halben Stunde sah ich eine Freundin an, die neben mir saß. Sie ist eine syrisch-kurdische Frau, die zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt ein Theater besuchte. Ich fragte sie, ob sie es denn bisher verstehe und erinnere mich noch gut an ihre Antwort: Sie verstünde den kompletten Zusammenhang zwar nicht, aber sie sei trotzdem wirklich froh hier sein. Sie lachte in jedem Fall sehr viel, genau wie alle anderen anwesenden.
Rhythmus aus Harmonie und Gefühlschaos
Wir alle wussten, wie wichtig Lachen in unserer Situation ist und wie wichtig es ist, loslassen zu können.
Wir brauchten dieses Lachen, um unseren Gedanken mal eine Pause zu gönnen, um alle unserer negativen Gefühle zu stoppen, und um unsere positiven Gefühlen wieder anzutreiben.
Nur in Momenten wie diesen können wir die tief verborgenen Gefühle in uns spüren und spontan unsere ganze Kraft in die Realisation dieser Gefühle hineinfließen lassen.
Das Theaterstück war insgesamt über die Bedeutung von uns als Menschen. Angesichts der Tatsache, dass jeder Mensch seine eigenen Spuren und Wege hat, hat auch jeder sein eigenes spezielles Tempo, das den Rhythmus ausmacht. In diesem Rhythmus schwingen eine ultimative Harmonie und gleichzeitig ein exzessives Gefühlschaos mit, wobei sich beide zu einer Einheit ergänzen.
Im letzten Viertel der Show wurde das Publikum dann Teil eines Spiels, indem es mit den Schauspieler_innen interagierte. Dafür wurde uns von den Darsteller_innen ein bestimmter Rhythmus vorgeschklatscht, den das Publikum in unterschiedlichen Sitzreihen dann wiederholen sollte. Dieses Wechselspiel erschuf einen musikalischen Rhythmus, welcher die Gesamtszene zum Schluss hin ausschmückte. Die klangliche Harmonie zwischen den Schauspielern und dem Publikum war der zwischenmenschliche Kontakt, den die Show sicher anstrebte.
Nach dem Ende des Stücks kam es noch zu einer Unterhaltung zwischen uns und den Schauspieler_innen. Das war für mich dann so etwas wie der reale Abschluss des Theaterstücks. Mir kam es fast vor wie ein Bestandteil und die letzte Szene des Stücks. Sie krönte diesen tollen Abend und wir verstanden uns alle blendend, trotz der Unterschiede unserer Kulturen.
Der überspringende Funke
Ich denke, dass es an diesem Abend nicht wirklich wichtig war, was wir verstanden haben und auch nicht, welche Sprache wir beherrschen. Es war wichtig, dass trotz aller Unterschiede die Sprache der Liebe und Harmonie vorherrschte und wir von unseren Herzen aus miteinander kommunizieren konnten.
Der Krieg in unseren Heimatländern hatte es fast geschafft, unsere Herzen zu zerstören, aber glücklicherweise nicht unseren Verstand. Wir haben trotz allem immer die Liebe und Hoffnung in uns aufrecht erhalten können. Diese positiven Gefühle haben uns immer wieder aufleben lassen, trotz noch so schlimmer Umstände.
Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Artikel meine Ansicht über Theater gut wiedergegeben hat. Aber ich bin mir sicher, dass Theater ein großer Teil unseres Lebens ist. Während wir in Deutschland versuchen, unser neues Leben zu begreifen und uns daran zu gewöhnen, zeigte sich das Theater als ein wichtiger Treffpunkt zwischen „Ost und West“, zwischen den Syrern und den Deutschen.
Obwohl kein Zweifel daran besteht, dass Theater seine eigenen Methoden und Ideen umsetzt und sich auf vielfältige Art und Weise auf die Gesellschaft auswirkt, lautet für mich die essentielle Frage:
Ist gemeinsames Lachen die wichtigste Eigenschaft, welche Menschen unterschiedlicher Kulturen im Theater zusammenführt und miteinander verschmelzen lässt? Oder kann es auf genau die selbe Weise auch im Kino oder beim Fernsehen geschehen?
Da oft nicht alle Menschen einer Gruppe aus der Tiefe ihres Herzens lachen können, ist es glaube ich nur möglich die Wahrheit des Moments zu erreichen, wenn man es trotzdem schafft sie alle gemeinsam zum lachen zu bringen. Zum Beispiel als Theaterdarsteller_in das Publikum, ganz ohne Beschränkung durch eine Leinwand oder einen Bildschirm. Daher finde ich, nur Theater kann dieser ehrliche Funke der Wahrheit sein, welcher auf die Zuschauer überspringt und eine echte Verbindung zwischen den Herzen zustande bringt.
Originaltext: Nivin · Umformulierung der Übersetzung: DG