Dass Sprache in unserer modernen, globalisierten Welt zu mehr genutzt werden kann als nur zu Handelszwecken, Werbemaßnahmen oder Gesetzesparagraphen, zeigt uns eine noch immer lebendige Literatur und ihre Autoren.

Die Welt wird kleiner in Zeiten von Web 2.0, das Wissen liegt nur wenige Klicks entfernt und muss nicht mehr in den hintersten Ecken der Bibliotheken gesucht werden. Viele Menschen beschränken sich aus Zeitmangel nur noch auf die wirklich nötige, zielgerichtete Kommunikation. Weltweit gibt es dennoch unabhängige Kreise von Literaten und Autoren, in denen Sprache als kreative Ausdrucks- und Kunstform lebendig gehalten wird. So auch in Kiel!

Wir möchten zeigen, was Sprache kann und natürlich was die Kieler Szene in diesem Bereich zu bieten hat. Das ist doch mehr, als man auf den ersten Blick vermuten könnte.

Erläuterung einiger Gedichtformen

Haiku

Die Natur ist der Spielplatz der kleinsten Gedichtform der Welt. Das aus Japan stammende Haiku strebt dabei ein berührendes Bild an, das sich dir sinnig erschließen soll. Ohne wertende Eingebungen und abschließende Kommentare wird das Gedankenkarussell in Fahrt gebracht. Dieses Kurzgedicht wird in der 5-7-5 Lautsilben-Regel dargestellt: 5 in der ersten, 7 in der zweiten und 5 in der letzten Zeile. Die Regel wird im Deutschen freier gehandhabt. Das Haiku unterliegt keiner Reimform und ebenfalls sollten Füllwörter oder grammatikalische Neuerungen vermieden werden. Es will klingen und im Kopfe schwingen, nur so kann es gelingen.

Elfchen

Das Elfchen ist für mich die reizvollste Gedichtform. Im Schema 1-2-3-4-1 schildert es einen Augenblick, ein Gefühl oder Gegenstand. Die Zahlen geben an, wie viel Worte in der jeweiligen Zeile stehen. Das Gedicht beginnt mit dem Thema oder dem Gedanken, dem es sich widmen soll. Die Zeilen zwei und drei enthalten eine genauere Be- oder Umschreibung des Themas. In der vierten Zeile sind eigene Gedanken gefragt. Den Abschluss bildet ein Fazit aus nur einem Wort. Die englische Übersetzung „cinquain“ bezieht sich auf die Anzahl der Zeilen („cinq“ = 5 im Französischen).

Limerick

Der scherzhaften Seite der Gedichte nähert sich der/die Dichter_in meistens über den fünfzeiligen Limerick. Zum Reimschema aabba werden Personen in Fettnäpfchen getrieben, ihnen Absurditäten oder Verschrobenheiten untergeschoben. Das Gedicht beginnt zumeist mit einer geographische Lage am Ende der ersten Zeile. Dabei wird eine Person einer Umgebung zugeordnet oder das Umfeld gibt eine Atmosphäre vor. Diese Verortung am Ende der ersten Zeile gibt das Reimwort für die zweite und fünfte Zeile vor. Die dritte und vierte Zeile haben ihren eigenen Endreim.

Eventbericht „hansa48“ vom 25.01.2015 Lesebühne Federkiel
Elfchen hin oder her, jetzt wollte ich mehr. Ich unternahm eine ungewöhnliche Reise des Abtauchens in die „hansa48“, dem Kommunikationszentrum in Kiel mit Theater, Kino, Kneipe und einer Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt. Für die Veranstaltung Lesebühne Federkiel wirbt sie mit den Worten: Entspannte Literatur für gespannte Seelen in bekannten Sälen.

In einer neuen Umgebung sind meine ersten Schritte stockender Natur. Zwei Runden um den Block haben meiner Nervosität Abhilfe verschafft.

Der Wetterbericht sagte Regen voraus. Glück für mich, dass die Wolken keinen Bock hatten – auf der anderen Seite: Auf wen kann ich mich überhaupt noch verlassen?

In der Kneipe befasse ich mich zuerst mit der Bücherecke. Eine Tauschbörse für Bücher, die andere Menschen begeistern sollen, und herausnehmen, was einen persönlich fasziniert.

Nachdem ich mich mit der „hansa48“ etwas vertraut gemacht habe passiere ich den Eingang zum Kinosaal. Der Eintritt beträgt drei Euro. In meiner Hand halte ich eine Eintrittskarte, die den Slogan des amerikanischen Wahlkampfstils reflektiert: Make Lesebühne great again. Ein Schmunzeln läuft über meine Lippen und ich muss gestehen: es polarisiert.

Die Bühne ist in Rot getaucht. Nicht nur Stühle sondern auch Treppenstufen dienen als Sitzmöglichkeit.

Ich habe Wahrheiten über Freud gehört, eine Geschichte des Goldrausches und eine Geschichte, dessen Mittelpunkt eine Familie darstellte. Der Abend hielt dass was er versprach, Ablenkung und Abtauchen.

In der Pause ist das Publikum zum Thema Drama gefragt. Der sogenannte „Bühnengeist“ verlangt ein paar Worte doch ich versage in meiner Paradedisziplin „Elfchen“. Für mein Selbstbewusstsein ist das alles andere als förderlich, also schreibe ich: Das Drama für das Kerzenlicht. Kein Sauerstoff.

Eine abschließende Verlosung von Büchern rundet diesen Abend ab.

Randnotiz. Die Toilette hat eine eigene Tapete. Mir ist schleierhaft, dass Menschen annehmen könnten, der Mensch stellt sich aufs Klo, um eine Vielzahl an Aufklebern zu lesen und zu verstehen. Schade, dass das Gesagte dabei auf der Strecke bleibt.

Vorstellung von „Kiel im Gedicht“ am 21.03.2017 im Literaturhaus Kiel
Das Literaturhaus Kiel lud am 21. März 2017 zu einem Treffen der alteingesessenen und modernen Dichterszene Kiels und zwar im Rahmen der Vorstellung von Walter Arnolds „ Kiel im Gedicht “. In diesem Buch wurden mehr als 60 Gedichte über unsere Landeshauptstadt zusammengetragen. Die ersten Worte des Abends, die einen Nachhall bewirkten, lauteten: „ Meine Stadt schmeckt salzig “. Wer in Kiel aufwuchs, wird dem nur schwer widersprechen können.

Es lasen an diesem Abend: Nils Aulike, Ilse Behl, Ingrid Glienke, Jörg Meyer, Ole Petras, Arne Rautenberg, Stephan Schwarck, Peter Thurmann und Annemarie Zornack. Vor allem die im Duett oder Trio vorgetragenen Werke wussten durch ihre verschiedenen Tonalitäten zu überzeugen.

In der ersten Hälfte traf Herr Petras Vortrag am meisten meinen Nerv. Ein gefühlt dreiminütiger Kommentar mit der verbalen Angriffslust eines provokant verschachtelten Satzes zu allerlei aktuellen gesellschaftlichen Themen. Von Minderheiten und Mehrheiten, über Missverständnisse bis hin zu Subkulturen und dem allgemeinen Zeitenwandel an sich.

Nach der kurzen Pause gab es mit dem Lied „ Schlüsselkind “ von Cora E. ein angebrachtes Intermezzo in die Popkultur der Nineties. Dabei handelte es sich um einen früheren Charterfolg von einer der ersten deutschen Rapperinnen. Ihr Song wurde als Musikvideo an die Leinwand geworfen und ertönte dazu aus den Boxen. Und das hier … im Literaturhaus, wohl um die Gleichung Rapmusik – Dichtkunst nochmals zu unterstreichen. Die Frage nach dem „ Warum “ konnte das mir angeblich gut bekannte Lied dann selbst beantworten: „ Schrevenpark, Alter Markt, ich trieb mich rum“. Die Frau ist also aus Kiel. Das war mir in den Neunzigern gar nicht so klar gewesen. Danke für diesen Hauch von Nostalgie.

Es wurden noch weitere Gedichte vorgetragen und dabei u.a. der Eutiner Dichterkreis vorgestellt. Ich lernte in diesem Kontext auch, dass Literaturnobelpreisträger Theodor Mommsen insgesamt 16 Kinder hatte. Insgesamt blieb für mich als eher szenefremdem Beobachter festzuhalten, dass viele klassische Gedichte eine kurze Dauer hatten, was aber sehr zu der Länge des Abends passte. Damit war eine durch zu viel YouTube verkümmerte Aufmerksamkeitsspanne dann gerne mal etwas überfordert. Schließlich konnte sie den Einstieg und das Ende manchmal gar nicht richtig verarbeiten. Dagegen dürfte die Lektüre von „ Kiel im Gedicht “ oder einfach ein erneuter Besuch im Literaturhaus sicher Abhilfe schaffen.

Kieler Literatur

Die Kieler Literatur besteht bereits seit über 200 Jahren und hat mit Detlev von Liliencron, Klaus Groth, Timm Kröger oder auch (dem damals zugezogenen Kieler Studenten) Theodor Storm so einige Namen vorzuweisen, die man als alteingesessener Kieler kennt, u.a. auch weil Schulen nach ihnen benannt wurden. Es gibt aber auch einige zeitgenössische Schriftsteller, die es schaffen die Kieler Literatur am Leben zu erhalten. In diesem Zuge möchten wir euch ein Interview mit Arne Rautenberg und eine Kurzgeschichte von Carsten Lensch ans Herz legen.

Arne Rautenberg, geboren 1967 in Kiel. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Neueren Deutschen Literaturwissenschaft und Volkskunde an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel lebt Arne Rautenberg seit 2000 als freier Schriftsteller und Künstler in seiner Geburtsstadt. Er gab uns für unsere kleine Rubrik ein paar Antworten:

Interview mit Arne Rautenberg

Gibt es vielleicht Eigenschaften, die einen Autor/eine Autorin aus Kiel auszeichnet / von anderen unterscheidet?

Ich kann da nur von mir sprechen. Für mich ist die Nähe zum Meer sehr wichtig. Wenn man aufs Meer blickt, hat man nichts mehr, was einem den Blick verstellt: Man bekommt ein Art „metaphysischen Durchblick“, der gut tut.

Gibt es ein prägendes Erlebnis aus dem Kieler Raum zum Thema Literatur, dass dir einfällt?

Für mich ist es dieses: Der Dichter Klaus Groth hat vor gut hundert Jahren in Kiel gelebt und in Düsternbrook gewohnt, dem Stadtteil, in dem auch ich lebe. Eines Tages, glaubte Klaus Groth, dass es gelungen war, die vielen Krähen aus dem Düsternbrooker Gehölz zu vertreiben. Sie waren zu einer Plage geworden – seine Kinder sahen die Krähen ausziehen und auf der anderen Seite der Förde ihre Nester bauen. Doch in Wirklichkeit sind die Krähen nicht ausgezogen, sie haben ihre Schlafbäume heute immer noch hier in den Düsternbrooker Bäumen und ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie bei meinen abendlichen Spaziergängen sehe. Diese Krähen haben mich zu vielen Gedichten inspiriert.

Was kann der Leser tun, um Kieler Autoren und Locations zu fördern?

Bitte kommen Sie als Besucher und Zuhörer zu den vielen wunderbaren Lesungen, die in Kiel angeboten werden: etwa ins Literaturhaus, in die Hansastraße 48 oder gehen Sie zu einem der vielen Poetry-Slams – so bleibt unsere Vorlesekultur lebendig.

Was sind deine Pläne in naher Zukunft und welche Werke können wir demnächst von dir erwarten?

Ich habe gerade meinen Gedichtband „nulluhrnull“ veröffentlicht und im Sommer erscheint mein neuer Gedichtband für Kinder, er heißt „rotkäppchen fliegt rakete“. Mit diesen beiden Büchern werde ich die nächsten Monate in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs sein.

Welche 3 Dinge sind Ihnen /dir am wichtigsten zur Inspiration?

Ich habe meine tiefsten Empindungen und besten Einfälle beim Besuch von Kunst-Ausstellungen. Weite Landschaften, Ruhe und Alkohol können auch nicht schaden.

3 Lieblingsbücher für alle Zeiten? (auch außerhalb Kiels natürlich)

Ich lese alle Romane von Karl Ove Knausgard, Michel Houellebecq und Haruki Murakami.

Gibt es Autoren oder Werke aus Kiel, die man gelesen haben sollte?

Gerade ist im Wachholz-Verlag eine Gedichtsammlung mit Kiel – Gedichten erschienen. Darin sind Gedichte aller wichtigen Dichter, die sich bislang mit Kiel beschäftigt haben. Diese Sammlung kann ich jedem Gedichteliebhaber ans Herz legen.

Kieler Kurzgeschichte von Carsten Lensch – „Das Rennen“

Daniel rann der Kalte Schweiß die Stirn hinab. Möglich, dass es nur Wasser vom Nieselregen war.

Daniel hatte nur Augen für seinen Favoriten im Rennen, auf den er alles gewettet hatte, was er bei sich hatte. Zwei der Teilnehmer waren gleichauf, der Rest der Übriggebliebenen lag ein gutes Stück zurück. Allerdings war der andere Teilnehmer der Favorit seines ärgsten Widersachers, Max. Gegen ihn zu verlieren würde eine lang anhaltende Schmach bedeuten, die Daniel unbedingt vermeiden wollte.

„Nu komm‘ schon, mach hinne!“ Max saß eine Bank weiter und gestikulierte wild in Richtung des Rennens. Auch Max wusste, dass dieses Rennen wichtig ist, nicht nur wegen des potentiellen Gewinns oder Verlust. Die anderen um ihn herum hatten schon resigniert und blickten drein wie drei Tage Regenwetter. Im Hintergrund schrie eine Frau, doch niemand kümmerte sich darum, stattdessen starrten alle gebannt auf die Zielgerade.

Daniels Augen wurden größer und größer. Er fühlte sich leicht panisch, als sein Favorit von der Idealbahn abkam und einen Schlenker machte, während der Kandidat von Max weiter vorpreschte. War dies das Ende? Doch plötzlich passierte etwas vollkommen Unerwartetes, das alles änderte. Niemand hatte damit gerechnet und man hörte nur Max laut fluchen. Alle anderen blieben ruhig aus Angst, sich den Zorn von Max zuzuziehen.

Der Schwan im Ententeich pickte auf die Ente, auf die Max gewettet hatte, ein und brachte sie vom Kurs ab, während die Ente von Daniel geradeaus schwamm und die Enteninsel in der Tat als erste erreichte. Es war geschafft, Daniel hatte gewonnen! Er hielt sich mit dem Jubel zurück, blickte vorsichtig auf Max und hoffte, dass der nicht reklamieren würde. Doch Max war ein fairer Verlierer, er ging zu Daniel, gab ihm all seine Gummibärchen, um die sie gewettet hatten, und ging wieder.

Kind sein war toll. Besonders heute beim Entenrennen im Schützenpark.