„Kiel ist eine Erfolgsstory“

Morgens halb 10 in Kiel. Ein lautes Schiffshupen geht durch die Stadt. Die Color Fantasy legt am Norwegenkai in Kiel an. Die Taue fliegen über Bord und die Mitarbeiter_innen der Stauerei machen den Riesenpott fest.

Jetzt wird das Schiff „gelöscht“. So nennt man das Entladen in der Schifffahrt. Passagiere verlassen das Schiff mit oder ohne Auto. LKW und Trailer werden von Bord gefahren. Dann wird das Manifest von Bord geholt. Als Manifest bezeichnet man wichtige Schiffsunterlagen, in denen die an Bord befindliche Ladung u.a. für den Zoll geführt wird. Bis 14 Uhr ist nun Zeit um das Schiff wieder zu beladen.

Die Color Magic ist eine der beiden Fähren, die im Wechsel täglich von Kiel nach Oslo aufbrechen. Die Color Magic, die als größte Autofähre der Welt gilt, und die Color Fantasy sorgen täglich bei einer Überfahrtszeit von ca. 20 Stunden für eine abwechslungsreiche und unterhaltsame Überfahrt.
Passagiere und Fracht der beiden Schiffe spielen für den Seehafen Kiel eine große Rolle, denn durch die hohen Preise in Norwegen fahren regelmäßig viele Norweger_innen nur nach Kiel um hier einzukaufen. Jede/r zweite Norweger_in fährt im Schnitt nur nach Kiel um Lebensmittel, Alkohol oder auch andere Dinge einzukaufen.* Nicht zuletzt deswegen ist die Linie Kiel-Oslo die erfolgreichste Route der Color Line Reederei.

Kiel und das Meer

Die beiden Schiffe, die auch als „Kreuzfahrtschiffe mit Autodeck“ bezeichnet werden, haben u.a. neben Theater und Disko einen Fitness- und Spa-Bereich, eine Einkaufspromenade, ein Casino, eine Aqualandschaft und zehn verschiedene Restaurants an Bord.

Kiel und das Meer

Die beiden Schiffe tragen allerdings nicht nur zum maritimen Ambiente unserer Stadt bei, sondern sind auch ein wichtiger Faktor für unsere Wirtschaft. Etwa 0,7 Millionen Tonnen Fracht und etwa 1,1 Millionen Passagiere wurden 2016 von der Color Magic und Color Fantasy transportiert. Das Unternehmen erzielte dabei einen Gesamtumsatz von etwa 700 Millionen Euro*.

Das Rüstungsunternehmen am Meer

Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW)

Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW) mit U-Booten der Klasse 212a. Blick vom Rathausturm.

Doch Kiel punktet mit seiner Lage am Meer nicht nur bei Tourismus und Transport. Mit Thyssenkrupp hat ein gigantisches Rüstungsunternehmen seinen Platz am Meer.

Hier werden hochmoderne, von Brennstoffzellen angetriebene U-Boote gebaut, welche an Staaten in aller Welt verkauft werden. Der Einstiegspreis für so ein U-Boot liegt bei etwa 350 Millionen Euro, nach oben ist allerdings noch Luft, sodass sich der Preis – je nach Modell und Ausstattung – auch verdoppeln kann. Somit erzielt der Betrieb einen Jahresumsatz von 1,5 – 2 Milliarden Euro.

Etwa 2600 Arbeitsplätze bietet die Werft, zuzüglich Zeitarbeiter_innen. Derzeit arbeitet die Werft an einer Bestellung über 17 U-Boote von sechs Nationen. Und da das Projekt U-Boot von der Planungsphase über den Bau bis zur Fertigstellung und Auslieferung nicht „mal eben so“ durchgeführt wird, sind die Arbeitsplätze auch für die nächsten 15 bis 20 Jahre gesichert. (Außerdem laufen die Dönerbuden in Gaarden ausgezeichnet, da viele der Mitarbeiter_innen Thyssenkrupps hier essen gehen 😉 )
thyssenkrupp zählt zu den besten Ausbildungs- und Arbeitgeberbetrieben der Stadt.

Neben zahlreichen Ausbildungsberufen bietet die Werft auch regelmäßige Qualifizierungen für ihre Mitarbeiter_innen an. Momentan hat die Werft Aufträge von sechs verschiedenen Nationen, darunter z.B. Süd-Korea, Israel und Ägypten für 17 U-Boote und Materialpakete. Ebenso rechnet die Firma fest mit weiteren Aufträgen aus dem In- und Ausland. Für die nächsten Jahre ist die Auslastung in Kiel somit gesichert.(keine Anführungszeichen)
Doch nicht erst seit heute profitiert Kiel wirtschaftlich von seiner Lage am Meer, welches ein fester Bestandteil der Stadtentwicklung ist. Leinen los!

Eine kleine Kieler Werftgeschichte

Die Geschichte des modernen Schiffbaus in Kiel begann vor ca. 150 Jahren, als auch an der Förde erstmals Schiffe aus Eisen entstanden. Mehrere Werften wurden seit damals gegründet, verschwanden wieder oder änderten mehrmals Namen und Eigentümer. Die Entwicklung bis zu Thyssenkrupp Marine Systems und German Naval Yards wollen wir einmal kurz darstellen.

Anfang des vorigen Jahrhunderts existierten in Kiel drei große Werften: Die Friedrich Krupp Germaniawerft, die Kaiserliche Werft und die Howaldtswerke AG. Germania profitierte anfangs stark vom Rüstungsgeschäft.

So wurde z.B. 1905 mit U1 das erste U-Boot der Kaiserlichen Marine gebaut, welches noch heute im Deutschen Museum in München zu besichtigen ist. Nach dem ersten Weltkrieg geriet die Werft aufgrund der nun fehlenden Marineaufträge in erhebliche Schwierigkeiten. Der Bau von Luxusjachten, vor allem für zahlungskräftige Amerikanische Kund_innen, ermöglichte das Überleben. So entstand 1931 die Viermastbark Hussar II, welche heute noch als Sea Cloud über die Weltmeere kreuzt. Nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte die Demontage der Germaniawerft. Die Proteste der Bevölkerung und des Oberbürgermeisters Andreas Gayk gegen die Zerstörung blieben vergeblich.

Im Trockendock von Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW). In der Bildmitte Frachter INGEREN (norweg.) beim Eindocken, im Hintergrund das Fährschiff KRONPRINS HARALD (norweg.) am Oslokai.

Im Trockendock von Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW). In der Bildmitte Frachter INGEREN (norweg.) beim Eindocken, im Hintergrund das Fährschiff KRONPRINS HARALD (norweg.) am Oslokai.

Mit der Verlegung der preußischen Marinestation von Danzig nach Kiel wurde die Marine zum wichtigen Faktor in der Stadt. Die für Bau und Instandhaltung von Marineschiffen errichtete Kaiserliche Werft Kiel (KWK) war bereits in den 1880-er Jahren mit ca. 3500 Beschäftigten die größte in Kiel. Im Jahr 1904 musste sogar das Fischerdorf Ellerbek einer weiteren Ausdehnung der Werft weichen und wurde verlegt. Der Höhepunkt der Entwicklung war 1917 erreicht, als die KWK mit ca. 22000 Beschäftigten als drittgrößte Werft der Welt galt. Nach dem ersten Weltkrieg in Deutsche Werke Kiel (DWK) umbenannt, konzentrierte sich die Staatswerft zunächst auf zivilen Schiffbau und die Herstellung von Wagons und Triebwagen für die Reichsbahn. Nach 1933 war der Betrieb durch die Wiederaufrüstung gut ausgelastet. Der folgende zweite Weltkrieg brachte umfangreiche Zerstörungen auf dem Werftgelände, und am Ende wie bei der benachbarten Germaniawerft Demontage und Auflösung.

Die Howaldtswerke-Deutsche Werft GmbH (HDW) in Kiel

Die Geschichte von HDW beginnt am Lorentzendamm. Die 1838 gegründete Maschinenbauanstalt und Eisengießerei Schweffel&Howaldt produzierte Kessel, Öfen und landwirtschaftliche Maschinen, aber keine Schiffe. Erst nachdem 1850 mit dem Brandtaucher des bayrischen Ingenieurs Wilhelm Bauer das erste und einzige U-Boot der Schleswig-Holsteinischen Marine entstanden war, begann man auch gelegentlich Schiffe zu bauen. Dann gründeten die Howaldts 1876 in Dietrichsdorf ein Schiffbauunternehmen, welches rasch zu wachsen begann.

Aus diesen Gründerzeiten stammt auch die Alte Metallgießerei, das heutige Industriemuseum an der Fachhochschule. Nachdem sich die Familie Howaldt 1909 komplett aus dem Unternehmen zurückzog, blieb nur noch der Name Howaldtswerke AG erhalten. Es folgten einige Eigentümerwechsel und eine Beinahe-Pleite in den 1920er Jahren. Im Nationalsozialismus war

Trockendock mit neuen Bock-Portalkran im Gaardener Werk.Marineviertel.

Trockendock mit neuen Bock-Portalkran im Gaardener Werk.

Howaldt zeitweise mit dem Arsenal unter dem Namen Kriegsmarinewerft zusammengefasst. Die zentrale Figur der Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderjahre nach dem zweiten Weltkrieg war der gebürtige Kieler Adolf Westphal. Unter Westphals Leitung übernahm Howaldt das ehemalige DWK Gelände in Gaarden.

 

Auch internationale Geschäftsbeziehungen wurden angeknüpft. So gehörten etwa die Reeder Anders Jahre und Aristoteles Onassis bald zu den wichtigsten Kunden. Schließlich erfolgte 1968 der Zusammenschluss mit der Deutschen Werft in Hamburg zur Howaldtswerke-Deutsche Werft AG (HDW). Ab 2005 gehörte HDW zum Thyssenkrupp Konzern und wurde praktisch zerschlagen. Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) konzentriert sich auf den U-Bootsbau. Der Überwasserschiffbau heißt heute German Naval Yards und gehörte einem Eigentümer aus Abu Dhabi. Der Traditionsname Howaldt bzw. HDW ist 2012 aufgrund einer Umstrukturierung des Thyssenkrupp Konzerns endgültig verschwunden. Welche Bedeutung der Schiffsbau und die Marine für die Stadt hatte und heute noch hat, spiegelt sich auch im Stadtbild wieder, zum Beispiel beim Marinevirtel.