In der Zastrowstraße/Ecke Harmsstraße hat jemand Bienenfutter ausgestreut: Vergangenen Sommer wuchsen dort, direkt an den Holzpollern, Sonnenblumen, Kornblumen, Ringelblumen und einige weitere, bunte Sommerblumen, an deren Blüten sich Insekten laben konnten. Ein Bild, das Vielen ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Was hier wie Zufall aussieht, ist ein weltweiter Trend: Urban Gardening, wörtlich übersetzt „Städtisches Gärtnern“. Ein Ausdruck, der viele gleich an Schrebergärten denken lässt. Allerdings ist mit Urban Gardening noch sehr viel mehr gemeint.
Vom rebellischen, kleinen Protest-Blumentopf am Laternenpfahl oder Kräutertöpfchen auf Balkonen und Fensterbänken über den nachbarschaftlich bepflanzten Grünstreifen zwischen Straße und Bürgersteig bis hin zum gemeinschaftlich bewirtschafteten Permakulturprojekt an der Alten MU; Urban Gardening geht immer und überall! Nur komplett begrünte Außenfassaden hat Kiel (noch) nicht zu bieten.

Seinen Ursprung hat der Trend im nicht ganz legalen Guerilla Gardening, welches das Bewirtschaften von brachliegenden Grünflächen als politischen Protest nutzte. Doch Urban Gardening ist schon lange aus dem illegalen Randbereich herausgewachsen. So gibt es zahlreiche Privatleute, Projekte, aber auch öffentliche Einrichtungen, welchen das städtische Grau zu trist geworden ist und die das Gärtnern in der Stadt selbst praktizieren oder fördern und unterstützen.

Dabei sind die klassischen Gärtner_innenvorteile wie die Bewegung an frischer Luft, das Erleben der Natur und das Ziehen gesunder Früchte aus eigenem Anbau auch beim Urban Gardening gute Argumente, um sich damit auseinanderzusetzen. Darüber hinaus bietet städtisches Gärtnern aber auch viele weitere Vorteile: Auf ökologischer Seite wird die Luftqualität verbessert, Insekten wird Lebensraum und Nahrung zurückgegeben und auch in sozialer Hinsicht hat der Trend großes Potential:
„ZusammenWachsen“ konnte man beispielsweise während der letzten drei Jahre im Interkulturellen Garten Kiel. Dort haben engagierte und kulturell interessierte Kieler_innen gemeinsam mit Geflüchteten einen Garten angelegt und bestellt. Dabei konnten alle Beteiligten so viel voneinander lernen, dass sogar ein gemeinsames, interkulturelles Kochbuch entstanden ist. Auch im Szenegarten „Grünes Eck“ wird einkommensschwachen, sozial benachteiligten Mitmenschen die Möglichkeit geboten, sowohl ein kleines Taschengeld zu verdienen, als auch ihre sozialen Kompetenzen zu stärken und zu erleben, dass sie durchaus etwas zum Leben erwecken und wachsen lassen können.
Auch im „Garten für Generationen“ wurde aus 3500 qm brachliegender Fläche ein farbenfroher Ort geschaffen, der Jung und Alt ein vielfältiges Angebot anbietet. Auf einem weiteren Gelände wurde auch an die vierbeinigen Begleiter gedacht und eine Hundeauslauffläche mit Agility-Elementen geschaffen. Urban Gardening kann Menschen zusammenbringen, die sonst nichts miteinander gemein haben.

Ähnlich wie im Sport oder in der Musik sind finanzielle, kulturelle und viele andere Unterschiede beim Urban Gardening nicht mehr wichtig, weil die Begeisterung für´s Gärtnern in der Stadt verbindet. Dabei wird die Wertschätzung des eigenen Könnens, Wissens und Arbeitens enorm gesteigert.
Aber auch ohne pädagogische Hintergedanken wird fleißig gepflanzt. Zum Beispiel gibt es die Schützenparkgärtner; Anwohner_innen, die kleine Blumenbeete im Schützenpark anlegen und pflegen. Die Initiative Rundbeet Kiel geht noch etwas weiter: Zwischen Holtenauer und Gerhardstraße baut sie auch Essbares als Gemeinschaftsprojekt an.

Die Menschen vernetzen – zwecks Austausch von Ressourcen, Wissen und Arbeitskraft – will das Projekt Grünkultur an der Alten Mu mit Hilfe von Permakultur. Dabei geht es auch um die Verbindungen zwischen Land- und Stadtleben. „Bei der herkömmlichen Landwirtschaft ist es so, dass die Böden auf längere Frist ausgelaugt werden, der Humus und die Nährstoffe gehen verloren. Das sieht man jetzt hier in Schleswig-Holstein: Wegen der Erosionsschäden muss viel, viel nachgedüngt werden und dadurch geht der Boden kaputt, das Trinkwasser wird belastet.“
Der Grundgedanke der Permakultur geht daher einen Schritt weiter und will die ausgelaugten Böden regenerieren, indem es sich das Ziel setzt, natürliche Kreisläufe wiederherzustellen, wie uns Mathias Semling von Grünkultur im Interview erklärte. „Derzeit konzentrieren wir uns darauf, einen gemeinnützigen Verein zu gründen und an der Alten Mu ein Permakulturzentrum und Lernort auszubauen. Nächstes Jahr sollen dann auch Außenstationen, wie zum Beispiel betreute Schul- oder Nachbarschaftsgärten, dazu kommen.“

Bei den meisten Projekten ist Mitmachen ganz einfach möglich. Wem es also in seiner grauen Umgebung auch zu trist ist, ist herzlich eingeladen, sich an einem der in den Infoboxen vorgestellten Projekten zu beteiligen.
INFO
Der Garten für Generationen
bietet in der Poppenrade 53 einen Hundeauslauf mit Agility-Elementen und ist offen für alle Bürger_innen
www.grünkultur-kiel.de
www. rundbeetkiel.wordpress.com