Wer in Kiel spazieren geht, kann unvermutet Kunst finden. Neben diversen modernen, abstrakten Formen gibt es auch einige Werke von großer historischer Bedeutung. Eine besonders bewegte Geschichte hat dabei die Statue an der Nikolaikirche.

Da Ernst Barlach 1924 zu den bedeutendsten Künstler des Landes zählte, wurde er von dem damaligen Stadtoberbaurat Willy Hahn gebeten, eine Großplastik zur Verschönerung Kiels zu schaffen. Ernst Barlach lehnte ab, da er sich „selbstgewählten Aufgaben“ widmen wollte. Aber als ihm außer der Aufgabe, „eine Idee darzustellen“, keine weiteren Vorgaben gemacht wurden und ihm jegliche künstlerische Freiheit ohne Einschränkung zugesichert wurde, sagte er 1927 doch zu. Im selben Jahr erteilte der Magistrat schließlich den Auftrag, ein Jahr später traf die Figur in Kiel ein.  Weil das moderne Kunstwerk bei der Bevölkerung überwiegend auf Ablehnung stieß und man möglicherweise kein Aufsehen über die Person Barlachs erregen wollte, wurde es Anfang Dezember, in aller Heimlichkeit, am ehemaligen Franziskanerkloster enthüllt. 1929 fuhr Barlach nach Kiel, um sein Werk vor Ort zu betrachten. Später schrieb er an seinen Bruder:

„Die Aufnahme der Gruppe ist, frostig und ablehnend. Man hatte zwei Tage vorher sogar das Schwert abgebogen in der Nacht, alle Rechtsparteien ziehen gegen mich vom Leder.“

Ernst Barlach an seinen Bruder Hans Barlach, 22.01.1929, in: Ernst Barlach. Die Briefe II, S. 147

Nach Ernst Barlachs Aussage ist diese Plastik „die äußere Darstellung eines inneren Vorganges“. Die Figur soll den Sieg des Geistes über das Böse und die Erhabenheit der Menschen über das Dunkle symbolisch darstellen. In diesem Sinn war sie kein heroisierendes Denkmal, was dem nationalsozialistischen Kunstverständnis widersprach. Die rechtsgerichteten Kreise in Kiel kritisierten den expressionistischen Bildhauer und Grafiker stark. Deshalb wurde die Figur 1937 an Hitlers Geburtstag von den Nationalsozialisten aus dem Stadtbild entfernt, später als „entartete Kunst“ gebrandmarkt und per staatlicher Verfügung beschlagnahmt. Viele weitere Kunstwerke von Ernst Barlach sollten diesem Begriff zum Opfer fallen. Große Teile seiner Werke verschwanden oder wurden vernichtet. Es gelang aber, die Großplastik vor dem Einschmelzen zu bewahren. Die über fünf Meter hohe Bronzeskulptur wurde in vier Teile zersägt und von Hugo Körtzinger, einem Freund des damals bereits verstorbenen Künstlers, auf einem Bauernhof in Schnega versteckt.

Nach dem Krieg waren die Besitzverhältnisse strittig, deshalb war lange Zeit unklar, was mit der Statue passieren würde. Nach schwierigen Verhandlungen konnte die Bronzestatue schließlich zurückgekauft und im Innenhof des Kieler Rathauses restauriert werden. 17 Jahre nach ihrer gewaltsamen Entfernung wurde die Figur in einer Mauerecke am Alten Markt neben der Nikolaikirche wiederaufgestellt. Am 21. Juni 1954 wurde das Kunstwerk unter dem Geläut der Glocken feierlich enthüllt. Die Kieler Nachrichten berichteten damals

„Die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt hat ihre Barlach Plastik wieder!“

Mit diesem Denkmal hat Ernst Barlach ein Kunstwerk von internationaler Bedeutung geschaffen, das zu Recht zu den beliebten Kieler Sehenswürdigkeiten zählt. Die Kieler_innen gaben der Statue den Namen „Der Geistkämpfer“; ein Titel, den der Künstler bald übernommen hatte. Die Rettung der Skulptur vor den Nationalsozialisten hat der Künstler dann jedoch nicht mehr miterlebt. Vielleicht ist es dennoch ein Trost für ihn, dass er in den Herzen der Menschen, die seine Kunst schätzen, selbst als Geistkämpfer gilt. Somit hat eine lange und bewegende Geschichte ihr Ende gefunden und wenn ihr achtlos und eilig an einem Kunstwerk vorbeigeht, fragt ihr euch vielleicht in Zukunft, welche Geschichte sich dahinter verbirgt.