Die Idee, in multikulturellen Zusammenhängen und altersübergreifend zu leben, ist nicht neu. Aus der Hausbesetzer Szene sind auch in Kiel verschiedene Wohnprojekte hervorgegangen. Ging es damals vor allen Dingen darum, günstigen Wohnraum vor dem Verfall zu schützen, so steht heute eher das Miteinander durch generationenübergreifende Zusammenhänge, Inklusion und Integration im Vordergrund. Viele haben den Wunsch, der Vereinzelung etwas entgegen zu setzen. Mit Freund*innen zusammen alt werden, aus der Isolation herauszukommen oder mit den eigenen Kindern in Form einer Wunschgroßfamilie zu leben.
Wie alles begann

Gegen “Wohnungsnot und Entmietung“ engagierten sich die Hausbesetzer*innen Ende der 1970er und in den 1980er Jahren. Daraus sind einige Wohnprojekte in Kiel entstanden. Das sicherlich größte mit der meisten Strahlkraft ist die Hansa 48.
Die Hansa48 wurde im März 1981 besetzt. Aus dem ehemals besetzten Haus ist inzwischen ein richtiges Kulturzentrum entstanden. Ausstellungsräume, ein Seminarraum, ein Theaterprobenraum, das Kino und das Kneipenkollektiv bilden das Zentrum. Angesiedelt sind außerdem auch noch eine Fahrradselbsthilfewerkstatt, ein Kindergarten, eine Druckerei und eine Arbeitslosenberatung. Einige der ehemaligen Hausbesetzer*innen leben noch dort. Insgesamt wohnen dort 25 Erwachsene und sechs Kinder. Neue Mitbewohner*innen melden sich meistens selbständig oder werden von anderen empfohlen. Über die Aufnahme entscheiden alle gemeinsam. Seit über 30 Jahren treffen sie sich jeden Montag Abend um 20:30 Uhr und besprechen alles, was das Zentrum, das Haus und die Kontakte nach Außen angeht. Kalle: „In den Anfängen, die ersten 20 Jahre lang, herrschte das Konsensprinzip. Das heißt, es wurden nur dann Beschlüsse gefasst, wenn alles diskutiert war und wirklich keiner etwas dagegen hatte. Mittlerweile ist es so, dass auch abgestimmt wird. Davon bin ich nicht so ein richtiger Freund.“ Interessant ist auch, dass der Infoladen, in dem die Arbeitslosenberatung sitzt, frei verwaltet wird. Auch andere Gruppen sind hier zu Hause und agieren unabhängig von der Hansa48. Der Infoladen wurde ursprünglich von der Anti-Atomkraft-Bewegung besetzt und wurde als kleines autonomes Zentrum erhalten.
Neben der Hansa48 gibt es noch viele weitere Projekte, die damals entstanden sind, wie die Alte Meierei, die Kieler Scholle, das Aubrook Projekt, die Brotfabrik oder der Timmerberg (Dampfziegelei). All diese Projekte sind mit Herzblut errichtet worden und laden häufig auch die Öffentlichkeit zu Veranstaltungen und Projekten ein.
Besonders aus dem Rahmen fällt in Kiel die Schwentineflotte, auch, wenn sie mit ihrer Wasseranbindung genau zu Kiel passt. Ursprünglich an der Schwentine gelegen, musste die Flotte – bestehend aus zurzeit 40 Schiffen – dem Helmholtzinstitut weichen. Ihre neue Heimat hat sie am Bootsanleger in Stieckenhörn in der Wik gefunden – wobei Heimat hier wörtlich zu nehmen ist. Die Schwentineflotte ist die einzige in Deutschland, die eine eigene Postadresse hat.
Aufbruch zu neuen Ufern
Der Wunsch, kostengünstig, ökologisch und in Gemeinschaft zu leben, hat viele Wohnprojekte hervorgebracht. Aber gerade in einer Zeit, wo Menschen immer mehr vereinzeln und großer Wohnraummangel, besonders an bezahlbarem Wohnraum herrscht, suchen immer mehr Menschen nach Alternativen. Die neueste Umsetzung ist sicherlich „Gutes Leben“ am Probsteier Platz. Auf private Initiative sollen dort 27 Wohnungen zusammen mit der Baugenossenschaft Gewoba Nord 2019 bezugsfertig sein. Gemeinschaftlich genutzt werden soll die schönste Wohnung im Obergeschoss mit Blick auf die Kieler Förde. Eine der Mitinitiatorin freut sich schon, dort im Plausch mit anderen Mitbewohner*innen ihren abendlichen Tee bei schöner Aussicht genießen zu können.

Während “Gutes Leben“ eher den rechtlich vorgezeichneten Weg ging, agiert die “Wagengruppe Schlagloch“ eher unkonventionell. Aus dem Wunsch heraus in einer Gemeinschaft zu leben und trotzdem den eigenen Raum zu haben, den man gestalten kann, haben sie sich gegründet. Die neun Bewohner*innen legen viel Wert darauf, ihre Umwelt ökologisch zu nutzen. Durch ihre Wohnform entsteht keine Bodenversiegelung, durch Solarstrom sind sie unabhängig vom Stromnetz und durch Nutzung von Regenwasser verbrauchen sie sehr wenig Trinkwasser. Sie verstehen sich aber nicht nur als Wohnprojekt, sondern als einen Ort, der für andere offen steht. Gärtnern, Konzerte veranstalten oder sich einfach treffen, soll ohne Hindernisse möglich sein.
Sehr genial ist sicherlich das Projekt “Wohnen für Hilfe“ vom Studentenwerk Schleswig-Holstein. Hier ist das gemeinschaftliche, kostengünstige Wohnen wesentlich. Ältere Menschen, Familien oder Organisationen stellen Wohnraum zur Verfügung und bekommen dafür Hilfe im Haushalt. Dabei gilt der Grundsatz: Eine Stunde Hilfe für einen Quadratmeter Wohnfläche. Dies hilft nicht nur den Student*innen, eine geeignete Wohnung zu finden, sondern auch den Menschen, bei denen sie wohnen. Bezahlen müssen die Studenten nur anteilige Nebenkosten für Heizung und Strom. Hierbei ist auch besonders der generationenübergreifende Aspekt wichtig, der viel Verständnis auf beiden Seiten erfordert. Bei der derzeitigen Wohnungsmarktlage wäre vielleicht zu überlegen, dieses Projekt auch für andere Menschen zu öffnen. In Frage kämen sicherlich auch Auszubildende oder Menschen, die aufgrund von Trennungen eine Bleibe suchen.
Ein etwas größeres Projekt, das in seiner jetzigen Form aber eher zufällig entstanden ist, befindet sich in der Wik.
Beobachtet man den Kieler Stadtteil Wik mit dem inzwischen abgeschlossenen Projekt Anscharpark, dem Wohnprojekt Timmerberg und der ARGE3A, die sich für die Entwicklung der Marinetechnikschule engagieren, so lassen sich viele Facetten eines neuen Szene-Stadtteils erkennen. Besonders der kulturelle Schwerpunkt ist sehr ausgeprägt, in Form der Atelierhausgesellschaft im Anscharpark, die ein Zusammenschluss von Kunst- und Kulturinstitutionen ist. Auch um den Anscharpark herum sind vielfältige Kultureinrichtungen angesiedelt, wie die Petrus-Veranstaltungskirche, das Maschinenmuseum, der Denk-Ort Flandernbunker, das „Tatort“-Fernsehstudio und der Kulturort Technische Marineschule. Um an der neuen Entwicklung mitzuwirken, bietet sich der Treffpunkt der ARGE3A, das Kiez Café in der Herthastraße an.
Was noch fehlt

Zu erwähnen wäre sicherlich noch das inklusive Wohnprojekt Hof Hammer mit ca. 200 Wohneinheiten, das in zwei bis drei Jahren fertiggestellt werden soll. Was aber wirklich fehlt, sind mehr Bauplätze, mehr kostengünstiger Wohnraum. Diesen versucht die Stadt Kiel mit einer neu zu gründenden Wohnungsbaugesellschaft zur Verfügung zu stellen. Die einzelnen Projekte, die wir haben, sind sicherlich vielfältig, bieten aber insgesamt viel zu wenig Wohnraum. Auch wenn sich die Realisierungschancen für Wohnprojekte in den letzten Jahren deutlich verbessert haben, ist eine öffentliche Unterstützung weiterhin wünschenswert.
Ein gutes Beispiel für städtischen Wohnungsbau bietet da die Stadt Wien. Sie hat den sozialen Wohnungsbau ständig weiter vorangetrieben und so dafür gesorgt, dass die Mieten insgesamt kostengünstig blieben. Auch wurde der sozialräumlichen Trennung entgegen gewirkt, indem in allen Stadtteilen gebaut wurde. Dadurch wurden viele Folgekosten, die durch Ghettoisierung entstehen, vermieden. Außerdem spart die Stadt bei den Mietzuschüssen, die sie bei Geringverdienern bezahlen muss. Ein besonders schönes Konzept in Zürich ist das Wohnprojekt Kalkbreite als ein Stück Stadt in der Stadt. Herausragend sind die Cluster-Wohnungen, bei denen jeder wenig Raum für sich persönlich beansprucht, aber die Gemeinschaftsräume umso größer ausfallen. Solche Projekte wären sicherlich auch für Kiel zukunftsweisend.